Literaturkurs

Gedankenspiel

Gedankenspiel: Wie es uns geht, wenn Corona endlich vorbei ist

Matthias Horx, Zukunftsforscher, pro- bzw. regnostizierte in seinem Text „Die Corona-Rückwärts-Prognose: Wie wir uns wundern werden, wenn die Krise ‚vorbei‘ ist“ (www.horx.com) im Frühjahr 2020 in etwa Folgendes: Im September 2020 werden wir wieder relativ entspannt in den Cafés sitzen, wir haben Corona insoweit im Griff, als ein Medikament existiert, und insgesamt ist die Welt ein bisschen besser geworden, nachhaltiger, ökologischer, auf das Regionale und auf menschliche Beziehungen bezogen, nicht so global und technisiert, mehr Experten als Verschwörungstheoretiker finden Gehör... Und nun? Wir haben September – überprüfen wir Horx!

Im Q1-Literaturkurs (Ölke) fand eine erste Überprüfung bereits kurz vor den Sommerferien statt, und es stellte sich heraus, nun ja, es bleibt noch einiges zu wünschen übrig, aber, so fanden manche Schülerinnen und Schüler, dennoch ist das Ganze ein schönes Gedankenspiel, das Mut machen kann…

Wenn sich jemand motiviert fühlt, diese Pro-/Re-Gnose auch zu kommentieren: bitte an m.oelke@goethe-schule.de schicken!

Kommentar von Anis Cosovic:

In Zeiten, in denen das Leben, wie wir es kannten, stillsteht, Veranstaltungen abgesagt und Alltagsangelegenheiten nur beschränkt möglich sind, ist es für uns schwer, Positives von der nahen Zukunft zu erwarten. Um dem entgegenzuwirken, veröffentlichte Matthias Horx im März seine „Re-Gnose“ für den Herbst 2020. Hierbei stellt er ein Best-Case-Szenario dar, in dem bereits im Sommer dieses Jahres Medikamente gegen Covid-19 gefunden wurden und sich demnach die Lage bis September wieder normalisiert hat und man auf die vorherigen Monate zurückblickt. Allerdings ist Horx nicht der Meinung, es würde zurück zum Normalzustand kommen. So zählt er mehrere Aspekte auf, bei denen er der Meinung ist, sie hätten von dieser Situation profitiert.

Fairerweise muss gesagt werden, dass Horx versucht, mit diesem Text die Hoffnung in den Lesern für die nicht allzu vielversprechende Zukunft zu wecken, und dies gelingt ihm tatsächlich. Um genauer zu sein, zeigte sich bei mir sogar ein Lächeln bei der von ihm geschilderten Vorstellung, im September wieder ohne Bedenken in einem Eiscafé zu sitzen.

Doch aus einem informativen Standpunkt fehlt bei einigen von Horx' „Re-Gnosen“ die Glaubwürdigkeit. So wirkt es schon fast naiv, dass er im März geschrieben hat, dass die Ökonomie keine großen Schäden erlitten hätte. Eben weil dieses Thema immer noch offensteht, lässt sich nur bedingt voraussagen, inwiefern die Weltwirtschaft leiden wird. […]

Realistische Aspekte hat dieser Text allerdings viele; da das Veranstaltungsverbot zum aktuellen Stand nur bis August gilt, ist die Vorstellung, im Herbst wieder im Fußballstadion zu sein, berechtigt. Auch die Aussage, dass es ein viel freundlicheres Wiedersehen wird als noch vor Zeiten des Virus, sind nicht nur plausibel, sondern auch motivierend.

Passend dazu spricht Horx ebenfalls den Anstieg an Solidarität an: Man hört häufig von Geschichten, wie die jüngeren Generationen den in die Risikogruppe Fallenden bei den Einkäufen oder Ähnlichem helfen. Dies ist in Zeiten, in denen man umso häufiger von Ignoranz und Hass mitbekommt, erfreulich. […]

Seinen Text beendet er mit Fakten, unter anderem der gesunkenen Zustimmung zur AfD, dem Einfluss der Wissenschaftler und Philosophen und dem verlorenen Marktwert von Verschwörungstheorien.

So kontrafaktisch Horx‘ Artikel auch stellenweise wirkt, ist er doch notwendig. Zum Schluss erklärt Horx, dass Menschen dazu tendieren, sich „Horror-Szenarien“ vorzustellen, wodurch bevorstehende Situationen oft schlimmer wirken, als sie im Nachhinein wirklich sind. Mit seiner „Re-Gnose“ will er keine realistische Vorstellung der Zukunft beschreiben, vielmehr uns einen Moment zum Ausatmen geben. Heutzutage wirkt es so, als wäre der nächste Tag unsicher, und keiner kann uns versprechen, wie es in einer Woche aussehen wird. Doch anstatt sich weitere negative Zukunftsszenarien vorzustellen, entschied sich Horx dazu, das Ganze mal im Plusquamperfekt zu gestalten. Auch wenn wir vielleicht doch nicht schon im Herbst im Stadion oder in einem Eiscafé sitzen können, werden wir es irgendwann doch tun. Und dann schauen wir wirklich zurück auf diese Zeit und wir werden uns wundern…

 

Kommentar von Julia Wittmund:

Corona. Vermutlich steht eben dieses umgangssprachlich formulierte Stichwort zur Sars-CoV-2-Pandemie jetzt schon zusammen mit dem Schimpfwort „systemrelevant“ ganz oben auf der Agenda der Jury zur Wahl „Wort des Jahres 2020“.

Doch was macht die aktuelle Situation mit der Bevölkerung, wie ändert sich das Verhalten der Menschen? Bringt die derzeit in nahezu allen Bereichen angespannte Lage auch Chancen mit sich? Vermutlich nein!

Der Publizist Matthias Horx gewährt in seiner aktuellen Veröffentlichung einen Blick in die Zukunft, in den Herbst im Jahr 2020. Er selbst nennt diese Technik „RE-Gnose“ und vermittelt dem Leser dadurch eine Sicht rückwirkend aus dem Herbst dieses Jahres auf die aktuelle Situation.

In dieser Re-Gnose arbeitet Horx jedoch ausschließlich die vermeintlich positiven Veränderungen heraus, versucht, mit Beispielen dem Leser und damit auch zugleich dem Betroffenen die aktuelle Situation als weniger dramatisch verkaufen zu wollen.

Der Autor spricht von Entschleunigung, den positiven Aspekten der vormals gehassten Videokonferenzen, mehr Humor und Menschlichkeit. Schrumpfende Ökonomie, zeitgleiches Wachstum von Depots und Reserven, das Verhältnis von Verschiebung zwischen Technologie und Kultur werden ebenso als positiv dargestellt.

Mit dem Blick aus „einem Straßencafé in einer Großstadt“ bei herbstlicher Wärme und dem Genuss von frischem Berliner Barista-Kaffee sicherlich alles eine nette Vorstellung.

Die ganze Publikation liest sich, als wäre Corona im Herbst zwar fortwährend existent, jedoch zugleich „Schnee von gestern“.

Eine gefährliche, wenn nicht zugleich auch schöne herbstliche Illusion, deren Geschmack durch guten Kaffee sicherlich unterstützt wird.

Doch: Wie steht es um die „systemrelevanten“ Steuerzahler dieser Gesellschaft? Was wird sich nach diesem stressigen, belastenden Jahr vor allem im Gesundheitswesen getan haben? Werden die Löhne der völlig unterbezahlten, oft und immer erwähnten Pflegekräfte, Notfallsanitäter im Rettungsdienst und die der anderen „systemrelevanten“ Kräfte, die in der aktuellen Pandemie alles für andere geben und nichts für sich tun, steigen? Wohl kaum.

Wie werden Künstler, Zirkusleute, Schausteller und Gastronomen, Konzertveranstalter, Unternehmen für Veranstaltungstechnik und viele weitere ein Jahr überleben, in dem, außer einer kleinen Soforthilfe, keine Einnahmen existieren? […]

So schnell, wie die „Systemrelevanz“ da war, so schnell wird sie auch wieder weg sein. Stattdessen werden Konjunkturpakete für die nahezu zum Erliegen gekommene Wirtschaft politische und gesellschaftliche Präsenz erobern, insofern das nicht schon längst geschehen ist…

Auch wenn der Alltag schrittweise zurückkehrt, natürlich zuerst große Warenhäuser und Geschäfte wieder öffnen dürfen, zugleich die „Systemrelevanten“ mit Vollgas für die gleiche Mark weiterarbeiten und der Künstler sich mit der Rückabwicklung seiner Tournee befassen muss, so werden wir uns noch lange mit den zu Recht bestehenden Einschränkungen zum Schutz der Gesellschaft befassen müssen.

Die Corona-Pandemie 2020 offenbart ganz deutlich die bestehenden Missstände in der Gesellschaft. Demonstrationen gegen die eigene Sicherheit, gespielte Solidarität und endlich eine ernsthafte Begründung, das heimische Sofa nicht zu verlassen, sind sicherlich nicht allen Deutschen ein Dorn im Auge. Dass die AfD „ernsthafte Zerfransens-Erscheinungen“ zeigt, das ist wohl das einzig Positive an der Situation.

Warten wir die Dinge mit einem guten Kaffee ab.

 

Kommentar von Felia Mielsch:

Der Zukunftsforscher Matthias Horx geht in seinem Text auf die Veränderungen ein, die seiner Meinung nach durch die Corona-Krise hervorgerufen werden. Dazu führt er eine sogenannte „Re-Gnose“ durch und stellt sich vor, er wäre im Herbst 2020 und blicke auf die Zeit zurück.

Matthias Horx sagt, dass Corona niemals wirklich vorbei sein wird, da sich die Welt nie wieder zu der Normalität zurück verändert, wie wir sie bisher kennen. Dabei ist sein Text allerdings ziemlich idealistisch, denn er sieht die Veränderungen durchweg positiv, ob die sozialen, technischen, ökonomischen oder politischen Aspekte.

In einigen Aspekten hat Horx sicherlich recht  ̶  die Welt wird durch Corona für immer geprägt sein, und die Welt, wie wir sie bisher kennen, ist damit Vergangenheit. Das digitale Arbeiten wird vermutlich seine Bedeutung auch nach der Corona-Krise behalten und Homeoffice, Internet-Teaching und Videokonferenzen werden eine große Rolle spielen. Die ökonomischen Veränderungen, wie die Lokalisierung der Wirtschaft, die Horx prognostiziert, sind ebenfalls plausibel.

Doch reagieren nicht unzählige Inhaber von Geschäften und Unternehmen, die pleitegingen und um ihre Existenz kämpfen mussten, mit Unverständnis, wenn sie hören, wie er dies beschönigt und als „nicht so schlimm“ darstellt?

Bei seinen Worten zum sozialen Leben wird sich sicherlich auch ein Großteil „wundern“.

Denn bei wem haben die sozialen Verzichte wirklich „selten zur Vereinsamung“ geführt, sondern „Erleichterung“ gebracht und „neue Möglichkeiten“ eröffnet? Wer hat alte Bindungen wieder verstärkt und „verborgene Konflikte gelöst“ und ist dadurch allgemein glücklicher geworden und hat „neue Nähe“ gefunden? Sicherlich gibt es einige wenige, auf die genau dies zutrifft. Aber für die Mehrheit bedeuten die sozialen Verzichte sehr wohl Verlust. Wir vermissen unsere Freunde, Familienmitglieder und das Leben unter Menschen und wünschen uns die Zeit zurück, in der wir einfach nach draußen gehen und unser Leben leben konnten.

Wenn Horx davon redet, dass Corona uns eine neue Kultur der Erreichbarkeit und Verbindlichkeit geschenkt hat, dann hat er zwar sicherlich recht, doch betrachtet man die Gründe, ist dies doch eher ein verzweifelter Versuch, die Entwicklung positiv zu sehen. Ja, man erwischt nicht nur noch den Anrufbeantworter, wenn man bei jemandem anruft. Aber wieso? Weil demjenigen gar nichts anderes übrig bleibt, als zuhause zu sein! Auch lange zu telefonieren hat an Bedeutung gewonnen. Allerdings nicht etwa, weil die Menschen plötzlich mehr reden und kommunizieren als zuvor, sondern einfach, weil es ein Ersatz für reale Gespräche ist, die durch Corona nicht möglich sind oder waren. […] Seine Sicht auf die Technik ist ebenfalls schwer verständlich. Zum einen sagt er, der Technik-Hype sei vorbei, zum anderen sieht er jedoch selbst, dass digitale Kommunikation und digitales Arbeiten stark an Bedeutung gewonnen haben  ̶  zwei Aussagen, die sich widersprechen.

Heraus sticht in Horx‘ Artikel auch sein großer Optimismus und sein Glaube an die Menschheit, über den sich streiten lässt. Ob nach der Corona-Krise wohl wirklich „gute Nachbarn und ein blühender Gemüsegarten“ wichtiger sein werden als das „Vermögen“? Ob die AFD und Trump tatsächlich an Zuspruch verlieren werden, da sich die Menschen nicht mehr gegeneinander aufhetzen wollen? Ob Fakenews an Marktwert verlieren werden? Ob die Menschen wirklich versuchen werden sich nach den Co2 Ausstößen während der Corona Zeit zu richten? […]

Alles in allem kann man sicherlich sagen, dass Horx die Situation ziemlich hoffnungsvoll betrachtet und von einem Best-Case-Szenario ausgeht. Auch wenn seine Prognosen teilweise nachvollziehbar sind, so sind die meisten doch eher Wunschdenken. Genau wie sein Gedanke, dass „das Virus unser Leben in eine Richtung geändert hat, in die es sich sowieso verändern wollte“.

Denn selbst wenn seine Prognosen wirklich wahr werden sollten, so ist es immer noch eine individuelle Ansichtssache, ob man diese Veränderungen als positiv betrachtet.

 

 
 

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